Recovery-News

«Es müssen sich gesellschaftliche Strukturen verändern»

von Pedro Codes

Eine junge Frau bricht mit einem Tabu. Sie trägt öffentlich einen Kampf aus, den fast die Hälfte der jungen Menschen kennt und der dennoch kaum sichtbar ist: den Kampf gegen die junge Einsamkeit.

Naima gefriert das Blut in den Adern, als ihr Handy piepst. Nun ist sie da, die SMS, die der 31-Jährigen bestätigt, dass sie Covid-positiv ist. Es ist Anfang November 2020. Auf ein solches Ergebnis folgten damals 14 Tage Isolation. In Naimas Fall hiess das, zwei Wochen lang in der Wohnung Wände anzustarren, aus dem Fenster im Wintergrau nach Zeichen des Lebens zu suchen und eine noch wenig bekannte Krankheit durchzustehen. «Es war schlimm – sehr schlimm», erinnert sich die junge Bernerin. Obwohl sie schon früher unter Einsamkeit gelitten hatte, war es diesmal anders. «Ich wusste, ich muss aus diesem Leiden raus», erzählt sie und betont das Wort «muss».

Ihre Not beschreibt die zierliche Frau mit eindringlichen Worten: «Einsamkeit ist ein starker, seelischer Schmerz, der sich körperlich ausdrückt. Es ist eine ungestillte Sehnsucht nach tiefen Verbindungen mit Menschen.» Die Isolation war für sie kaum auszuhalten. Also googelte Naima Unterstützungsangebote für junge Einsame, fand aber nichts. «Ich konnte es nicht glauben», sagt sie. Es ist in der Tat erstaunlich. Denn fragt man die Forschung, ist die Antwort klar: Junge Einsamkeit ist weiter verbreitet als gemeinhin angenommen, und vor allem chronische Einsamkeit schadet dem Körper und der Psyche.

Dass junge Einsamkeit kein Einzelschicksal ist, liest man beispielsweise im Bericht zur letzten schweizerischen Gesundheitsbefragung (2020). Fast jeder zweite Mensch unter 40 Jahren fühlt sich manchmal oder oft einsam. Bei jüngeren Menschen, bei solchen mit Migrationsgeschichte und bei Frauen liegt der Anteil noch höher. Der Trend über die Jahre: steigend. Und die Pandemie verstärkt(e) dieses Gefühl zusätzlich.

Auch die Folgen von chronischer Einsamkeit sind belegt. Laut einer Meta-Studie aus dem Jahr 2010 verkürzt Einsamkeit die Lebenserwartung um 15 Jahre, ist so ungesund wie 15 Zigaretten pro Tag und schädlicher als Übergewicht. Davon wusste Naima nicht viel, als sie im Internet suchte und nichts Passendes fand. Aber sie beschloss, sich selbst zu helfen und für Menschen einzustehen, die wie sie unter Einsamkeit leiden. Und damit war ihre Aktivistinnen-Tätigkeit geboren.

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Magazin KONTEXT

Dieser Artikel ist im KONTEXT #07, das Magazin rund um aktuelle Themen der psychischen Gesundheit, erschienen.

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